Die Seele in Menschengestalt

Germanenherz Toto Haas Thule GesellschaftDie ursprüngliche Vorstellung, daß eine entkörperte Seele mit dem Schlafenden in Verkehr tritt, mußte zu der Überzeugung führen, daß der Verstorbene in Menschengestalt wieder erscheinen könnte, um zu ermuntern oder zu quälen, zu warnen oder zu benachrichtigen, oder um die Erfüllung seiner eigenen Wünsche zu fordern. Diesen Zusammenhang von Seelenglauben und Traumleben bestätigt die Sprache selbst. Ahd. troc, as. gidrog = dämonisches Wesen, wurde ursprünglich nur von Toten gebraucht, die im Traume erschienen; das Wort Traum hatte anfangs nur die Bedeutung Toteutraum. Zugrunde liegt die idg. Wurzel dhreugh „schädigen“; der Draug (urgerm. draugaz) ist also das Unheilstiftende Wesen. Der Zustand aber, in dem die Seele von den Unholden heimgesucht wurde, hieß urgerm. draugwmös „Traum“. Später überwiegt mhd. gespenste (ahd. gispanst) „Verlockung, teuflisches Trugbild“, ein Verbalabstraktum zu spanan „locken“ (lit. spéndziu „Fallstricke legen“). Die ursprüngliche Konstruktion des Verbums „träumen“ zeigt noch deutlich den Glauben an die Wirklichkeit der Traumwelt: Die Person, von der nach unserer Anschauungsweise geträumt wird, galt im Altertum als die erzeugende Ursache des Traumes; man sagte nicht bloß unpersönlich „mich träumte“, sondern „der Mann hat mich geträumt“: offenbar wird das Traumbild noch als ruhestörende, beängstigende Erscheinung gedacht. Schon im ahd. wurde die Passivität des Traumzustandes minder lebhaft empfunden: es hieß „mir troumte“; und als endlich das aufgeklärte Bewußtsein die völlige Subjektivität der Traumerscheinungen erkannte, sagte man stolz: ich habe geträumt.

Im allgemeinen gilt das Wiedererscheinen als ein Unglück oder eine Strafe, nicht nur unheimlich und störend für die Lebenden, sondern auch als Quai für die Toten. Die Wiedergänger erscheinen in menschlicher Gestalt, grau, schattenhaft schwebend, meist im Leichenge wände. Selbstmörder haben im Grabe keine Ruhe; Meineidige, Scheidengänger (Grenzsteinverrücker), Geizige, Wucherer, Hartherzige, Ungetreue und die, die mit einer nicht gesühnten und nicht selbstbekannten Sünde gestorben sind, müssen als Spukgeister erscheinen. Ein vergrabener Schatz läßt dem Toten keine Ruhe, bis er gehoben ist. Eine unvollendete Arbeit, ein nicht erfülltes Versprechen treibt ihn auf die Oberwelt zurück.

Ein Kind hat von der Mutter zwei Heller bekommen, um eie einem armen Manne zu geben, aber für sich behalten und in die Dielenritzen versteckt. Nach seinem Tode kommt es alle Mittage gegangen und sieht ängstlich nach den beiden Hellern, bis sie endlich von den Eltern gefunden und den Armen gegeben werden (K. H. M. Nr. 154). Doch behalten die Seelen auch nach dem Tode ihre menschliche Beschäftigung bei: die Geister der Gefallenen kämpfen über den Schlachtfeldern weiter, z. B. über den kata-launischen Gefilden die Hunnen und die Westgoten. Der Geist der toten Mutter kehrt wieder, um sich der vernachlässigten Kinder gegen die böse Stiefmutter auzunehmen; Mutterliebe ist stärker als der Tod (K. H. M. Nr. 11; 18). Aber es stört auch die Ruhe des Toten, wenn er zuviel beklagt und beweint wird. In der rührenden thüringischen Sage vom Tränen-krüglein bittet das Kind die Mutter, vom Weinen abzustehen. Im Märchen kann das Kind vor den Tränen der Mutter im Sarge nicht oinschlafen: das Totenhemdchen wird nicht trocken vor all den Tränen, die darauf fallen (K. H. M. Nr. 109).

Dem milden, versöhnenden Glauben, daß die Liebe auch die Pforten des Todes und der Hölle überwindet, steht die finstere, grausige Anschauung gegenüber, daß die Tränen der Braut, die über das Ableben des Geliebten in den Volksliedern meist unaufgeklärt ist, den Verstorbenen aus dem Grabe locken: er holt die Braut auf seinem Rosse und führt sie im gespenstischen Ritte in sein Totenreich. Das ist der volkstümliche Hintergrund von Bürgers Lenore.

Wie die ahd. Glossen „necromantia = hellirüna“ oder „dohot-(döt) runa, d. i. Höllenzauber, Totenzauber“ und „morti-feri cantus seu spani, d. i. Lockung“ zeigen, kannten die Deutschen Zaubergesänge, die den Toten aus dem Grabe zurückrufen konnten, um die Zukunft zu offenbaren oder durch Zauber Böses zu wirken. Noch heute kann man durch Zauberkunst die Seelen der Toten beschwören und herbeirufen, daß sie sichtbar erscheinen oder hörbar antworten müssen. Der Kuudige geht des Nachts auf den Kirchhof, ruft den jüngst beerdigten Toten und legt ihm Fragen vor, meist über geschehene Diebstähle und verborgene Schätze.

Umgekehrt kannte die Vorzeit ein mit Runeuzauber verbundenes Totenlied, den sisu (Geflüster), das den Geist des Verstorbenen an der Rückkehr auf die Erde verhindern sollte. Diese leise mit gedämpfter Stimme gesungenen Zauberlieder, die den Geist des Toten bannen sollten, waren mit Tanz und Opfer verbunden und wurden teils bei der Leichenwache, teils bei der Bestattung selbst angewandt. Der Indiculus (Nr. 2), eine Instruktion für Königsboten und Missionare von ca. 800, verbietet diese Totenlieder, dädsisas, und Abt Regino von Prüm (f 915) schilt sie „Teufelsgesänge“. Noch heute glaubt man, die plagenden Spukgeister bemeistern und in wüste Orter tragen und bannen zu können. Schon im 13 Jhd. zieht, wie noch heute, der Beschwörende einen Kreis auf dem Boden, steht selbst mitten im Kreise und zwingt die armen Seelen zum Erscheinen, um sie dann auf einen sumpfigen Ort zu bringen (Münch. Nachtsegen). Das Ziehen des Kreises war ursprünglich eine rechtssymbolische Handlung. Der Schläfer denkt den Kreis um sich und sein Haus gezogen, zum Schutze vor dem nächtlichen, quälenden Gesindel.

Der Aufenthaltsort der Seelen

Nachdem die Seele oder der Geist beim Tode den Körper verlassen hat, hält er sich in der Nähe des Grabes auf, wandelt auf der Erde oder fliegt in der Luft umher oder zieht in das eigentliche Geisterreich. Unter den Boden, unter die Schwelle grub man den Toten ein, um dem Hause einen Schutzgeist zu sichern. Der beliebteste Sammelplatz der Seelen ist der Altar des Hauses, d. h. der Herd, die uralte Begräbnisstelle. Norddeutsche Bauern erinnern sich noch, daß an den Ufern des sumpfigen Drörnling der Eintrittsort in das Land der abgeschiedenen Seelen war. Das Schauspiel der in die Unterwelt versinkenden Sonne rief den Glauben hervor, daß das Seelenheim im fernen Westen gelegen wäre. England, die Gegend des Sonnenunterganges, galt dem germanischen Altertum als das Land der Toten. Procop, der Geschichtsschreiber des gotischen Krieges, hat im 6. Jhd. einen ausführlichen Bericht aufgezeichnet (IV, 20):

An der Küste, die Britannien gegenüberliegt, befindet sich eine große Anzahl von Dörfern, deren Bewohner von Fischfang, Ackerbau und Schifffahrt nach Britannien leben. Sie sind den Franken untertan, zahlen aber keinen Tribut, da sie von alters her die beschwerliche Pflicht haben, abwechselnd die Seelen der Verstorbenen Überzusetzen. Vor Mitternacht merken sie, wie es an ihre Türen klopft, und hören die Stimme eines Unsichtbaren, der sie an die Arbeit ruft. Sogleich stehen sie auf, ohne sich zu besinnen, und begeben sich an den Strand, durch eine unbekannte Gewalt angetrieben. Dort finden sie Kähne vor, zur Abfahrt bereit, aber ganz menschenleer. Es sind das nicht ihre eigenen, sondern fremde Fahrzeuge. Sie steigen hinein und greifen zu den Rudern. Dann fühlen sie, wie die Schiffe durch die Menge der Mitfahrenden so schwer belastet werden, daß sie bis an die Deckbalken und die Rudereinschnitte im Wasser liegen und kaum einen Finger breit daraus hervorragen; aber zu sehen ist niemand. In einer Stunde schon sind sie am anderen Ufer, während ihre eigenen Boote die Überfahrt nicht unter einer Nacht und einem Tage machen. Am jenseitigen Strande entleert sich das Schiff und wird so leicht, daß nur noch der Ifiel die Wellen berührt. Sie sehen niemand auf der Reise, niemand bei der Landung, aber hören eine Stimme, die von jedem neu Ankommenden Namen, Stand und Herkunft ausruft; bei Frauen wird der Name dessen ausgerufen, dem sie im Leben angehörten. — Bis ins 13. Jhd. war die Erinnerung an ein britannisches Totenreich in Deutschland lebendig.

Deutsche Sagen wiederholen noch heute das Thema, wie die Mare aus Engeland über das Meer herüberkomme; da hört die von Heimweh Erfüllte von England her die Glocken klingen, noch einmal will sie ihre Mutter sehen, sie schmeichelt dem Manne den Urlaub ab und verschwindet, oft mit dem Rufe: „wie klingen die Glocken in Engeland“. Da aber die Seelen des heidnischen Volksglaubens in christlicher Zeit häufig in Engel übergingen, ist es nicht ausgeschlossen, daß das himmlische Totenreich als Engelland bezeichnet wurde.

Eine besonders von den Seelen heimgesuchte Stelle sind, wie bei den Indern, Griechen und Römern, auch die Kreuzwege, vermutlich alte verlassene Begräbnisplätze. Sie sind daher der Sitz des mannigfachsten Zaubers. Schon Eligius verbietet das Lichtanzünden an Kreuzwegen.

Floh der Lebenshauch aus dem erstarrten Körper, so schwebte er in die Luft empor, und die Seele flog mit dem wütenden Heere einher. War der Sturm als die Vereinigung von Seelen gedacht, so mußte den Geistern, während der Wind ruhte, ein bestimmter Ruheort zugeschrieben werden. Aus den Bergen bricht der Wind hervor, im Berge verweilte der Windgott Wodan, so wurden die Berge zum Seelenheim. Der Indiculus  verbietet die Opfer auf Steinen, Felsen und Bergen; denn in Bergen und Höhlen hausten die Seelen der Verstorbenen und kamen zu bestimmten Zeiten daraus hervor. Der Rattenfänger von Hameln lockt die Seelen der Kinder zu den Unterirdischen in den Koppenberg. In den Venus- und Hollenbergen verschwindet die wilde Jagd, und oft hört man das Heulen und Wimmern der Seelen aus dem Berge. Bei Worms wurde einst einige Tage hindurch eine große bewaffnete Menge von Rittern gesellen, die aus einem Berge herauszog und wieder dorthin zurückkehrte. Endlich näherte sich einer von den Bewohnern ängstlich dem Heere und redete einen daraus an. Da ward ihm die Antwort:

„Wir sind nicht, wie ihr glaubt, bloße Einbildungen, noch eine Schar Soldaten, sondern die Geister der verstorbenen Ritter.“

Auch ein Graf, der vor wenigen Jahren getötet war (1117), wurde in dem gespenstischen Zuge wahrgenommen. Im Münchener Nachtsegen werden allerlei biblische Stellen zitiert, um die Schwarzen und Weißen, die die Guten heißen, d. h. die alten Hausgeister abzuwehren; denn auch sie können schaden, wenn sie erzürnt sind. Zwar sind sie nach dem Blocksberg ausgewandert uud haben dort ihren ständigen Sitz; aber sie sind beleidigt und gekränkt dem Christentum gewichen, d. h. nach der Anschauung des Volkes in den Berg entrückt; und wenn sie des Nachts zum Hause zurückkehren, muß der im Bette liegende Schläfer ihren Zorn fürchten und versuchen, ihren feindlichen Einfluß abzuwehren.

In den Bergen ist auch der Wohnsitz der Lieblinge der deutschen Volksdichtung. Karl der Grosse ruht im Desemberge bei Paderborn oder im Unterberge bei Salzburg, Heinrich der Erste im Sudemerberge bei Goslar. Der im els&ssischen Bergschlosse Geroldseck (richtiger: in dem Wasserschlosse Geroldseck an der Saar) hausende Siegfried ist von dem Dichter Moscherosch (f 1669) erfunden, ebenso das Fortleben des Ariovist, Hermann und Widukind im Hügel Babilonie in Westfalen (D. S. Nr. 21). Nach dieser Vorlage hat dann unser Jahrhundert weiter gearbeitet; im Fichtelgebirge weilt Erzherzog Karl von Österreich, in der Sarner Scharte oder im Iffinger lebt Andreas Hofer fort und wird einst wieder erscheinen.

Obwohl die Darstellung auf das wütende Heer bei Wodan zurückkommen wird, sei doch schon bemerkt, daß es noch im 13. Jhd., im Münchener Nachtsegen, Wütanes her genannt wird. Wütendes Heer ist also entstellt aus Wutens-heer = Heer des Wuotan. Der Nacht- und Windgott ist in ältester Zeit bereits mit den im Sturme einherfahrenden Seelen in Verbindung gebracht und das Toteuheer nach dem Führer benannt. Der nächtliche Schrecken des wilden Heeres wird noch durch die Begleitung anderer entfesselter Naturgewalten gesteigert, durch den aus schwarzen Gewitterwolken hervorleuchtenden Blitz. Glözan und Lodevan, Wütan und Wütanes her werden im Münchener Nachtsegen abgewehrt: ihr sollt von hinnen gehn 1 Glö-zan. Feuerzahn, (mhd. gelohe Flamme, ahd. mhd. zan Zahn) soll der Blitz sein; Lode-van (mhd. lode Zotte, ahd. ludo zottige Decke) soll Zottelfahne bedeuten, und unter der zottigen Fahne sei die Wolke zu verstehen; wahrscheinlich aber sind Gloczan und Lodowan slavische Namen.

In demselben Segen werden Herbrot und Herebrant aufgefordert, in ein anderes Land auszufahren. Auch diese beiden Namen, wovon Herbracht in einer oberdeutschen Beschwörung als ein den Augen feindlicher Krankheitsdämon, und Heribrand in westfälischem Aberglauben als Feuerdrache, in Mecklenburg als Herddämon wiederkehrt, den ein geweihter Kesselhaken vertreibt, scheinen mit dem wilden Heere zusammen zu hängen. Sie sind kaum die bekannten Heroennamen Hildebrand und Hadubrand, auf mythische Geister übertragen. Herbrot ist der im Gebälk des Hauses wohnende und auf Plünderung ausziehende Hausgeist und vergleicht sich dem bekannteren Ausdruck Heerwisch. Wird von einem Baume, der „Feuer in sich birgt“, d. h. den der Blitz versehrt hat, ein Balken zum Bau verwendet, so brennt das Haus ab. Wenn der Herbrand in ein Haus fällt, so brennt dieses nach sieben Jahren ab. Vielleicht ist Herbrot das Femininum dazu. Neuerdings erklärt man etwas gekünstelt Herbrant als die Brandstiftungen des einbrechenden feindlichen Heeres, und Herebrort als die Vorhut, die nächtlicherweile verheerend einfällt, sieht also in den Namen nur poetische, nicht mythische Beziehungen.

Der Seelenkultus

Verschiedene Gebräuche der Seelenabwehr sind über den ganzen Erdkreis verbreitet. Zu gleichen Zwecken hat der Mensch überall Vorkehrungen getroffen, um die spukende Seele zu vertreiben oder unschädlich zu machen. Die Geister und Gespenster scheuen den nackten Menschen. Wer von bösen Träumen heimgesucht wird, kann sich dagegen wehren, wenn er beim Schlafengehen sich in der Mitte der Stube ganz entkleidet und rückwärts zu Bette geht. Nach einem Todesfälle werden sogleich die Fenster geöffnet, damit die Seele nicht länger im Hause bleibt. Die Töpfe werden umgekehrt, damit die Seele nicht irgendwo unterschlüpfen kann. Hinter dem Sarge her wird die Stube ausgekehrt, um das Wiederkommen zu verhüten, oder man gießt, wie schon zur Zeit Burchards von Worms schweigend unter die Totenbahre, so heute der Leiche einen Eimer Wasser nach, dann kann sie nicht umgehen. Auf großen Umwegen wird die Leiche nach dem Kirchhofe gefahren, damit der Tote den Weg nicht zurückfindet. Der Wunsch, die Rückkehr des Verstorbenen zu verhindern und zugleich seine Reise ins Jenseit für ihn selbst bequemer und sicherer zu machen, hat zu dem weitverbreiteten Brauche geführt, dem Toten Schuhe mit ins Grab zu geben (s. u. Einrichtung der Welt).

Rind und Roß dem Toten ins Jenseits mitzugeben, war altgerm. Brauch: sie sollen nicht nur dem Verstorbenen im Jenseits dienen, sondern sie sollen ihm, wie die Schuhe, Wagen und Schiffe, helfen, daß er bequem und ungefährdet ins Totenreich gelange. Pommersche Leidtragende lassen, wenn sie vom Kirchhofe zurückkehren, Hirsenstroh hinter sich zurück, damit die wandernde Seele darauf ruhen und nicht nach Hause zurückkehren möge. Wie Stroh einst das Wesentlichste am Lager war, so knüpfen gerade hieran noch alte Bräuche. Das Revestroh (got. hraiws, ahd. hreo, mhd. re Leichnam, ursprünglich der blutige, getötete Leib, caro, cruor, xQEas) wird im Hause verbrannt oder auf das Feld geworfen, damit es schnell verwese; denn von seiner Vernichtung hängt die Wiederkehr des Toten ab. Nimmt man es mit nach Hause, so kommt der Geist des Nachts immer wieder auf die Hofstätte zurück, um sein ihm entzogenes Eigentum zu suchen. Sogleich nach dem Tode legt man den Verstorbenen auf das Rehbrett, d. i. Leichenbrett, um dem häuslichen Gebrauche nichts anderes entziehen zu müssen, da auch diese Unterlage dem Toten gehört: der tote Siegfried wird gewaschen und „üf den re“ gelegt (N. L. 967).

Diese Leichenbretter entsprechen den Bauta- und Runensteinen des Nordens, sie deckten den Toten unmittelbar, legten ihn fest und verhinderten seine gefürchtete Wiederkehr. Besonders in Oberbayern und im Bayerischen Walde sieht man lange Schmalbretter im Erdreich aufgepflanzt, gruppenweise oder vereinzelt: oft mitten im Walde, wo die Fußsteige vorübergehen, an Waldbäumen oder auch an Feldwegen, bisweilen am Acker, den der Tote einst bestellte (Fig. 1 und 2). Auf dem Rehbrett bleibt der Tote bis zum Begräbnisse liegen; der Maler streicht es dann blau an und setzt den Namen, Geburts- und Todestag des Verstorbenen darauf, eine Bitte um ein Vaterunser und auch wohl einen Spruch, der die Vergänglichkeit alles Irdischen lehrt. Niemals aber findet man Totenbretter an geweihter Stätte, und heilige Scheu umgibt sie; niemand vergreift sich an den ungeschützt im Freien stehenden Denkmälern, bis sie morsch verwittern. Wahrscheinlich kommt das Totenbrett auch den Alemannen und Franken zu. Ein lignum insuper positum“ erwähnen die leges Bajuvariorum (Tit. 19, C. 8), das salische Gesetz (Tit. 339) spricht von einem „Haristado h. e. stapplus super mortuum missusd. h. von einer Heersäule oder einem Stappel (= Stütze, Säule, Pfosten), der über dem Toten ins Grab gelegt wird, und von einem „nach altem Brauche aufs Grab gelegten Steg“: alle drei Zeugnisse scheinen doch von Toten-brettern zu sprechen.

Um die Rückkehr des Toten abzuwehren, beseitigt man also alles, woran sich die Seele besonders gern zu heften pflegte: man vernichtete entweder die Gegenstände oder legte sie dem Toten mit ins Grab. Der toten Mutter gibt man Kamm, Schere, Fingerhut, Zwirn und Nadel und ein Stückchen Leinwand, Bettchen, Häubchen und Windeln des Kindes, und wenn ihr dieses selbst in den Sarg folgt, diesem Puppen und Spielzeug mit, damit die Mutter nur ja nichts zu holen habe. Aber neben diesen negativ vorbeugenden Mitteln gab es auch positiv abwehrende. Man erschwerte dem Toten nicht nur den Weg oder die Zurechtfindung, sondern man übte noch besondere Gebräuche und Vorsichtsmaßregeln, um den geisterhaften Angriff abzuwehreu. Da die Zeit der schwärmenden Geister besonders die Nacht ist, zündete man Feuer an, um die feindlichen Gespenster abzuhalten. Brennende Lichter schützen gegen Gepenster, gegen den Alp und gegen die Hexen; bei Kranken und neugeborenen Kindern müssen Kerzen brennen. Ebenso vertrieb man die Geister durch Lärm, wie z. B. noch heute in China bei Seuchen und Landplagen. Schießen und anderes starkes Lärmen, wie Knallen mit den Peitschen, auch G lock engeläute ist allgemein ein Mittel gegen böse Geister, besonders gegen Hexen. Durch Schießen am Pfiugsttage vertreibt man die Unholde von den Feldern. Am Polterabend begann ein fürchterliches Lärmen in dem Hause, das die Brautleute beziehen sollten. Alle Fensterläden wurden geschlossen, jede Öffnung zugekeilt, nur die Haustüre weit offen gelassen. Dann wurde oben unterm Dache mit schrecklichem Lärmen und Poltern begonnen, vom Speicher pfianzte es sich durch alle Räume bis in den Keller fort, dann die Kellertreppe hinauf, zur Haustüre hinaus. Der „Polterabend“ bezweckte also eine Reinigung des neu zu beziehenden Hauses von bösen Geistern und lehrt aufs deutlichste, mit welchen sinnlichen Mitteln man gegen diese Vorgehen mußte.

Noch heute werden auf den Weihnachtsmärkten „Brummtöpfe“ und „Waldteufel“ feilgeboten, die kein Mensch mehr zu etwas Nützlichem zu verwenden weiß. Aber zweifellos hat man mit diesen einmal die Geister von den Häusern fortgescheucht, und das Ding, mit dem man den Teufel wieder in den Wald trieb, hieß darum auch der „Waldteufel“. Ihm entspricht genau das Schwirrholz, mit dem manche wilden Völker noch heute lästigen Geisterbesuch fernzuhalten suchen. Und was soll die Rute, die heute zur Weihnachtszeit eine so große Rolle spielt? Schwerlich würden Kinder sie sich gewünscht haben, wenn diese zu ihrer Züchtigung gedient hätte. Früher erhielt das Kind grüne Zweige und Reiser mit den Martins- und Nikolausgeschenken, erst das 16. Jhd. legte der Rute pädagogischen Sinn unter, und noch heute droht man, höchst unpädagogisch, den Kindern zur Zeit der heiligsten Freude mit der Rute Knecht Ruprechts. Es ist ein idg. Glaube, daß die Berührung mit einer Rute unter gewissen Feierlichkeiten Krankheiten des Viehs vertreibt und die feindlichen Geister von Haus und Herd, Feld und Flur verscheucht. Aber die Rute, die ursprünglich nur abwehrt, wird später in der Hand des Hirten zur Lebensrute, die feindlichen Zauber abwendet und Wachstum hervorbringt, und auf dem Acker sogar ein Symbol der Fruchtbarkeit. Nr. 22 des Indiculus (de tem-pestatibus et cornibus et cocleis) handelt von Instrumenten, Hörnern und Muscheln, mit denen man Lärm machte, um Unwetter zu vertreiben. Offenbar sind unsere Wetterhörner und Wettermuscheln gemeint. Beim Blasen der Wettermuschel soll sich noch heute im Kinzigtaie das Wetter „sichtlich“ verteilen, uud das „Wetterläuten“ ist allgemein bekannt. Karl d. Gr. verbot 789, gegen Wettergefahr Glocken zu taufen und mit Zauberformeln versehene Zettel an Stangen aufzuhängen.

Es ist merkwürdig, welche Scheu vor dem Wasser die Naturvölker den Geistern zuschreiben; man glaubt diese überall wiederkehrende Auffassung in eiue Zeit zurückverlegen zu müssen, wo der Mensch dem Wasser noch wehrund machtlos gegenüberstand und es als feindliches, hinderndes Element betrachtete. Darum wird bei vielen Völkern das Totenreich jenseit eines Flusses gedacht, weil kein Wesen ihn zu überschreiten vermag. Noch heute gießt man des Nachts Wasser vor die Tür: daun bleibt der Tote wehklagend stehen und kann nicht hinüber.

Zwei alte Zeugnisse zeigen, wie grausam man die Wiederkehr des Toten zu verhindern suchte:

Eine mit ihrem Kinde in den Wochen estorbene Krau heftete man mit einem Pfahle im Grabe fest (Burchard von Worms). Eine Ehebrecherin ward mit einem Stricke, der aus ihrem eigenen Haare geflochten war, an einem Baume aufgehängt; nach drei Tagen ward ihr Leichnam verbrannt, die Asche ins Wasser geworfen, daß nicht die Sonne dunkle, nicht die Luft den Regen weigere, oder Hagel wüste: man fürchtete also, daß eine Verbrecherin als Gespenst weiter lebte und Schaden verübte, wenn der Körper nicht bis aufs letzte Stäubchen vernichtet würde (Ruodlieb VIII, 50—57).

Während wir unserer Toten nur noch gedenken können, waren unsere Vorfahren von ihrem Weiterleben und ihrer Gegenwart überzeugt Aber sie suchten die Toten nicht nur fern zu halten, sondern sahen sie gern um sich, im eigenen Hause, reichten ihnen den Becher, rüsteten ihnen Tisch und Mahl und tranken mit ihnen Minne. Die Totenpflege unserer Ahnen entrollt uns ein Bild kindlich traulicher Innigkeit, das auch unseren Blick noch mit rührender Teilnahme zu längerem, liebevollem Verweilen zwingt. Was dem Verstorbenen auf Erden lieb und wert gewesen war, das gab man ihm mit ins Grab, damit er sich nicht von seinen Lieblingsdingen zu trennen brauchte. Die Gräberfunde gehören zu den ältesten Zeugnissen für mythische Vorstellungen; Waffen und Schmuckgegenstände, Geld und Gut, Handwerkszeug und Trinkhörner, Pferde- und Hunde- und Sklavenskelette, sowie Steinamulette sind aus dem Schoße der Erde wieder ans Tageslicht gefördert. Schon Tacitus bezeugt ausdrücklich, daß jedem Manne seine Waffen mitgegeben wurden (Germ. 27).

Im Grabe des Frankenkönigs Childerich in Tournay wurden eine Anzahl Münzen und auch der Kopf eines Pferdes gefunden. Mit dem toten Alarich werden reiche Schätze in den Schoß des Busento versenkt (D. S. Nr. 372), Alboin wurde in vollem Waffenschmucke beerdigt, und Kaiser Otto III. sah Karl den Großen im Dome zu Aachen in voller Kaiserpracht thronend und nahm das goldene Kreuz, das der Leiche am Halse hing, an sich. Noch 1781 wurde zu Trier ein Kavallerie-General nach altem heiligem Brauche bestattet: bei dem Leichenzuge wurde sein Pferd mitgeführt, und nachdem der Sarg in das Grab gesenkt war, getötet und in die Gruft geworfen. Eine letzte, schwache Erinnerung ist es, wenn noch heute bei der Bestattung eines Soldaten das gesattelte und aufgezäumte Streitroß hinter der Leiche mitgeführt wird, und wenn verstorbenen Ordensrittern die Orden bi9 an das Grab nachgetragen werden.

Dem Toten gebührte von Rechtswegen ein Drittel des eigenen Nachlasses als Ausstattung für das Leben im* Jeuseits. Dieser Totenteil bestand nicht nur aus Geld und Gut, sondern aus der Fahrnis überhaupt, die mit ihm verbrannt und begraben wurde. Er wurde in christlicher Zeit zum Seelgerät, Seelschatz, und der Tote erhielt seinen Anteil am eigenen Nachlasse dadurch, daß dieser zu kirchlichen oder wohltätigen Zwecken verwendet wurde; denn die Sorge für das Heil des Verstorbenen im Jenseits war jetzt Sache der Kirche.

Die sterbende Austrigild, die Gemahlin des Frankenkönigs Guntram, verlangte, daß jemand mit ihr sterben solle, und der König ließ ihre beiden Arzte töten (Greg. Tur. 5, 35).

Der grausame Brauch, daß die Witwe dem Gatten als sein Eigentum in den Tod folgte, gleich seinem Pferde und seinen Knechten, scheint schon zur Zeit des Tacitus verschwunden zu sein, denn er hätte ihn sonst sicher erwähnt (Germ. 27); aber bei den Herulern und Nordgermanen lebte er fort.

Wenn ein Heruler gestorben ist, muß seine Gattin, wenn sie etwas auf ihren Ruf gibt und ihr an einem freundlichen Gedenken nach dem Tode gelegen ist, sich am Grabhügel ihres Gemahls bald nach seinem Begr&bnis erdrosseln. Wenn sie es nicht tut, so wird sie ehrlos, und die Verwandten ihres Mannes fühlen sich durch sie beleidigt (Prokop, b. got. 2, 14; vgl. K. H. M. Nr. 16).

Die ostdeutschen Leichenfelder zwischen Elbe und Weichsel haben nicht nur beträchtliche Massen gerösteten Weizens ergeben, sondern auch kugelförmige, aus gestoßenem Korn und aus Tonerde zusammengeknetete Opferbrote. Ags. Bußordnungen von 700 und Burchard eifern dagegen, Körner in einem Hause zu verbrennen, wo ein Toter liegt. Weitere Funde zeigen, daß man ausgehöhlte Steine auf die Gräber legte und in diese Spenden goß, zur Nahrung für den Toten. Papst Gregor III. verbot im Jahre 739 in einem Schreiben an die alemannischen Bischöfe die heidnischen Totenopfer. Auf dem I. deutschen National-Konzil 742 wird jedem Bischof aufgetragen, alljährlich bei der Synode Umfrage zu halten, ob jemand an Losdeuten, Wahrsagen, Amulette, Beobachtung des Vogelfluges uud Hexereien glaube, zur Nachtzeit über einen Toten singe, esse oder trinke und sich gleichsam über seinen Tod freue. Zahlreiche Zeugnisse aus dem 8. Jhd. bekunden, wie schwer der Kirche die Bekämpfung der Kulthandlungen an den Gräbern gemacht wurde. Karl d. Gr. erließ 785 zu Paderborn bei Todesstrafe den Befehl, daß die Sachsen auf den Gräbern ihrer Vorfahren nicht mehr tanzen, singen und schmausen sollten. Die erste Nummer des In-diculus verbietet den Sachsen das Totenopfer (de sacrilegio ad sejmlchra mortuorum), und Burchard von Worms eifert noch um das Jahr 1000 gegen die Spenden, die in gewissen Gegenden an den Gräbern der Verstorbenen gebracht werden.

In welchem Ansehen die Totenpflege stand, und wie sehr mit ihr der Ahnenkult zusammenhängt, zeigt wiederum der Indiculus (Nr. 25: de eo, quod sibi sanctos fingant quoslibet mortuos). Er verbietet, beliebige Tote zu Heiligen zu machen. Diese Gefahr lag für den Deutschen bei solchen Männern nahe, die schon bei Lebzeiten besondere Macht über ihre Mitmenschen und deren Geschicke besessen hatten; ihnen mußte ja nach dem Tode übermenschliches Können und Wissen zugeschrieben werden. In gleicher Weise verbietet das ags. Gesetz König Eadgars nebeneinander Totenbeschwörung und Menschenverehrung.

Die bereits besprochenen Schatzsagen (S. 13) zeigen, daß die Ruhe des Toten heilig war, und daß kein Frevler wagen durfte, nach den ihm mitgegebenen Schätzen zu trachten. Die Beraubung eines Toten (Walraub) war durch strenge Gesetze bestraft. Der Walraub war nach dem Edikt dos Langobardenkönigs Hrothari Blut raub (plödraub) oder R e r a u b (hrairaub). Blutraub beging man an einem Menschen, den man selbst getötet hatte, mochte der Totschlag um des Raubes willen verübt sein oder nicht. Dem Getöteten durfte man nach ags. Gesetz nichts nehmen, sondern man sollte den Leichnam auf den Schild legeu, das Haupt nach Westen, die Füße nach Osten gerichtet. Selbst der, der beim Wegschießen der Aasvögel die Leiche mit dem Pfeile verwundete, mußte nach bayerischem Volksrechte zwölf Schilling Strafe zahlen. Reraub war die Beraubung eines Leichnams ohne Konkurrenz mit erlaubter oder unerlaubter Tötung. Die strafrechtliche Behandlung der Missetat gestaltete sich verschieden, je nachdem sie am unbestatteten oder am bestatteten Leichname verübt war. Bei den Franken machte die Beraubung eines bestatteten Leichnams friedlos. Auch auf Herauswerfen der Leichen aus dem Grabe (crapworf) waren strenge Strafen gesetzt. Damit hängt wohl auch zusammen, daß die Deutschen die Leichen der Gefallenen selbst in zweifelhaften Gefechten zurücktragen (Germ. 6).

Was den Menschen ergötzte, mußte auch den Abgeschiedenen erfreuen. Auch er mußte sich an Schmaus und Trank, froher Scherzrede und dem Ruhme seiner Taten laben. Darum erklangen feierliche Totenklagen während des Totenzuges und bei der Bestattung.

Der sterbende Wolfhart beauftragt seinen Oheim Hilde-brant, die Totenklage um ihn abzustellen (N. L. 2239):

„Und wollten meine Freunde im Tode mich beklagen,

Den nächsten und den besten sollt ihr von mir dann sagen,

Daß sie nicht um mich weinen, das tu nimmer Not.“

Schon Tacitus kennt die Totenklage (Germ. 27): „ Weh-Magen und Weinen gehen sie schnell, Schmerz und Trauer langsam auf; Frauen ziemt Trauerklage, Männern Erinnerung“.

Nach der Schlacht auf den katalaunischen Feldern 451 wurde der König Th eoderich mitten in dem dichtesten Haufen der Leichen erschlagen gefunden. Die Goten ehrten sein Andenken mit Liedern und erwiesen noch während der Wut des Kampfes mit ihren unharmonischen Stimmen der Leiche die letzte Ehre. Tränen wurden vergossen, aber solche, die tapferen Männern nachgeweint zu werden pflegen (Jord. c. 41). Zwei Jahre später wird der Hunnenkönig Attila ganz nach germanischem Brauche bestattet; die Totenklage, die dabei ertönt, darf als ein Rest gotischer Poesie des 5. Jhds. gelten. Mitten auf dem Felde unter seidenem Zelte wurden die sterblichen Reste Attilas aufgestellt. Dann wurde ein wunderbar feierliches Schauspiel aufgeführt. Die besten Reiter aus dem ganzen Hunnenvolke ritten um den Platz herum und verherrlichten seine Taten in einer Totenklage auf folgende Weise: „Attila der Mächtige, Mundzuks Erzeugter,

Herrscher der Hunnen, König kampfmutiger Völker, der wie kein anderer vor ihm Scythiens und Germaniens Reiche mit uneihörter Macht allein regierte, der beiden Kömerreiche Schrecken, der Städteeroberer: um nicht alles den Feinden zur Beute werden zu lassen, ließ er sich erbitten, jährlichen Tribut anzunehmen. Da er alles dieses mit Glöck vollbracht hatte, fand er nicht durch eine Waffe der Feinde, nicht durch den Trug der Seinigen, mitten im freudigsten Glück, im Glanze seines Volkes, sonder Schmerzenempfindnng den Tod. Wer sollte also das für des Lebens Ende halten, wo niemand an Rache denken kann?“ Nachdem sie ihn mit solchen Klageliedern betrauert, feierten sie auf seinem Grabhügel eine strawa (Aufbahrung, got straujan), d. h. ein gewaltiges Trinkgelage, und indem sie die Gegensätze miteinander verbanden, vermischten sie die Totenklage mit Äusserungen der Freude. Dann übergaben sie in der Stille der Nacht den Leichnam der Erde und legten die durch Feindes Tod erbeuteten Waffen, kostbaren Pferdeschmuck, strahlend von Edelsteinen aller Art, und mancherlei Ehrenzeichen bei, mit denen der Glanz des Hofes geziert wird. Und damit menschliche Neugier von so vielen großen Reichtümern fern gehalten würde, töteten sie die mit der Arbeit Beauftragten nach vollbrachtem Werk: offenbar ein Totenopfer (Jord. c. 49).

Ergreifend ist die Schilderung, die das ags. Epos von der Leichenfeier Beowulfs entwirft (3138 ff). Die Recken bereiteten einen Scheiterhaufen auf der Erde, einen festgefügten, mit Helmen behängen, mit Heerkampfsschilden, mit blinkenden Brünnen, wie er gebeten hatte. Mitten darauf legten den herrlichen Herrscher die Helden wehklagend, den geliebten Gefolgsherrn. Dann begannen sie auf dem Berge der Brandfeuer größtes zu erwecken, die Helden; der Holzrauch stieg empor schwarz von dem Scheiterhaufen, prasselnde Lohe, mit Klagelauten untermischt, wenn das Sturmgewühl ruhte, bis das Beinhaus gebrochen war heiß in der Brust. Darauf errichteten sie einen Hügel, der war hoch und breit und den Wogen-befahrern weithin sichtbar, und erbauten in zehn Tagen des Helden Denkmal; für die Asche stellten sie eine Grabkammer her und taten in den Hügel Ringe und kostbare Kleinodien. Dann ritten die Recken um den Hügel, sie wollten ihren Kummer klagen, den König betrauern, Hochgesang erheben und den Helden preisen; sie rühmten seine Ritterlichkeit und seine kühnen Taten, wie es billig ist, daß man seinen Herrn mit Worten feiert und in Liebe sein gedenkt, wenn er das Leben hat verlassen müssen. So betrauerten sie ihres Gefolgsherrn Fall, die Herdgenossen, sie sagten, daß der große König gewesen wäre unter den Männern der freigebigste und leutseligste, unter den Menschen der mildeste und stolz auf das Lob der Seinen.

Auch solange der Tote vor seiner Beerdigung sich noch im Hause befand, fanden mancherlei heilige Gebräuche statt. Die Kirche eiferte gegen den Unfug, der bei den Leichenwachen getrieben wurde und verbot das Absingen teuflischer Lieder, das Scherzen und Springen über den Toten, Gelage und Mummereien. Selbst christlichen Priestern mußte nach Regino von Prüm verboten werden, mit den Heiden sich am Jahrestage oder am 30., am 7. und 3. Tage nach dem Sterbefalle zum Totengedächtnis zu berauschen, der Seele des Verstorbenen zuzutrinken, Klatsch- und Lachgeschichten zu erzählen oder zu singen und sich schimpfliche Scherze mit einem Bären und mit Tänzerinnen und Talamascae (geisterhafte Mummereien) vorführen zu lassen (I, 216).

Bei Bur-chard von Worms heißt es: „Hast du der Leichenfeier des Verstorbenen beigewohnt, das* ist: hast du der Wache bei den Leichnamen der Verstorbenen beigewohnt, wo die Leiber der Christen nach Sitte der Heiden bewacht wurden? Hast du dort die Teufelslieder gesungen und an den Tänzen teilgenommen, die die Heiden nach Anweisung des Teufels erfunden haben?“ Drei Tage und drei Nächte wacht Kriemhild bei dem toten Siegfried (N. L. 997). Die Leichenwache ist nichts anderes wie eine Belustigung der Seele, solange sie noch im Hause weilt. Der Leichenschmaus aber wird der Seele zu Ehren gegeben, und sie nimmt selbst daran teil. Da man einst den Toten im Hause begrub — König A1 b o i n wurde noch unter der Treppe seines Palastes bestattet (Pis. Diac. 2, 28) —, fand das Mahl im Hause statt, später auf dem Grabhügel. Beim Leichenschmause lustig zu sein und viel zu genießen ehrt den Toten, denn er wünscht nach der kindlichen Vorstellung des Naturmenschen Erheiterung. Noch heute heißt es in der Oberpfalz: je mehr dabei getrunken wird, um so besser; es kommt dem Toten zu gut, und das Abhalten des Leichenmahles wird dort das „Ein-daichteln“ des Toten genannt (got. dauhts das Mahl). In Ganghofers Roman „Der Fidelweißkönig“ (I, 115) trägt ein junges Mädchen nach einem Todesfälle eine Schale mit Milch und weißes Brot an das Gesimse des Fensters und raunt innig und leise vor sich hin:

„Arme Seele, tu dich speisen,

Arme Seele, tu dich tränken,

Deine Reis’ is lang,

Dein Weg is drang.“

Rosegger entwirft in seinem tiefsinnigen Romane „Der Gottsucher“ eine nächtliche Totenfeier, die Zug für Zug den heutigen Volksbräuchen entnommen ist (S. 8 ff.).

Aber auch Klagerufe und Schmerzausbrüche erschallten bei der Leichenwache. Aus den Verschanzungen der Goten drangen im Jahre 537 des Nachts laute Wehklagen in das römische Lager hinüber (Prokop, b. got. 2, 2).

Nach hannoverschem Aberglauben beträgt die Frist, die der Seele auf Erden gegöunt ist, fünf Stunden; in dieser Zeit muß sie die Strafpredigt anhören, die die Gattin ihr hält. Nach dem Sachsenspiegel (I, 21, 22) bleibt die Witwe bis zum dreißigsten Tage im Besitze des ungeteilten Hausgutes, als wäre ihr Mann noch unter den Lebenden. Am 30. wird auch heute noch in vielen Gegenden das kirchliche Leichenamt wiederholt: dann sind die Pflichten gegen den Toten erfüllt Die alte mythische Dreizahl kehrt in dem Glauben wieder, daß der Tote am dritten oder neunten Tage noch einmal in sein Haus zurückkommt, und daß der Leichenwagen drei oder neun Tage rasten muß, d. h. zu keiner anderen Arbeit gebraucht werden darf.

Solange der Germane noch unstet als Nomade von Trift zu Trift zog, war an eine Wiederholung der Totenfeste nicht zu denken. In der späteren Zeit waren die Totengedächtnisfeiern mit der Verehrung der mächtigen Götter verbunden. Ein öffentliches Totenfest, das sich an das Früh-liugsfest der erwachenden Natur anscliloß, verbietet Nr. 3 des Indiculus (de spurcalibus in Februario). Widukind, Abt des Benediktinerklosters Corvey an der Weser, berichtet, daß die Sieges- und Totenfeier der Sachsen nach der Schlacht bei Scheidungen im Herbste des Jahres 531 drei Tage lang, vom 1. Oktober an, gewährt habe (s. u. Opferzeiten).

Naturverehrung

Auf dem Untergründe des Seelenglaubens und des Zauberwesens erhebt sich die Welt der Naturgeister und der Götter, der in den großen Naturerscheinungen waltenden Mächte, und des reineren, feierlicheren Kultus. Der Versuch, sich das Unverständliche, Geheimnisvolle zu erklären, fand in den dürftigen, ärmlichen Vorstellungen des Seelenglaubens seine Schranken. Aus dem Menschen selbst, nicht aus der ihn umgebenden Natur sind die mythischen Anschauungen des Seelenglaubens hervorgegangen; die Natur kommt nur insoweit in Betracht, wie sie der Aufenthaltsort des abgeschiedenen Ahnherrn des Hauses ist. Für Nomaden, vor allem aber für Ackerbau treibende Völker, deren ganzes wirtschaftliches Leben vom Stande der himmlischen Gestirne abhängt, mußte die Verehrung der großen Naturkräfte hinzutreten. Vom einfachen Beobachten der Witterungserscheinungen verklärte sich diese Betrachtung immer mehr zu einer idealen Auffassung. Die Verehrung der himmlischen Erscheinungen und ihre dichterische Verwertung setzt eine schon fortgeschrittene Gesittung voraus. Aber auch diese Vorstellungen waren noch beschränkt, so lange das Leben eines Volkes sich mehr in einzelnen landschaftlichen Kreisen vollzog. Erst mit dem Eintreten des Volkes in die Geschichte erhält der Götterglaube seine ideale Ausprägung, entsteht eine nationale Mythologie. Darum sind die Gestalten des Seelenglaubens über die ganze Erde verbreitet, die Naturgeister zeigen die charakteristischen Züge der Rasse und des Volkes und finden ihre Erklärung in der Gegend, wo sie entstanden sind; die Götter spiegeln die Eigenart des Volkes im allgemeinen, und die Stamm- und Hauptgötter die des Stammes im besonderen wieder.

„In die Wildnis hinaus sind des Waldes Faunen verstoßen,

Aber die Andacht leiht höheres Leben dem Stein.“

Der Mensch sucht sich die Naturerscheinungen zu erklären. Wenn der Donner rollt, vernimmt er Toben und Krachen über sich in der Luft; Geschrei und Lärm kennt er selbst aus seinen eigenen Kämpfen; der Schluß liegt für ihn nahe: auch da droben wird gekämpft, der Donner ist der Lärm, den unsichtbare Gewalten machen. Er dichtet eine Schlacht, und aus dem Kreise des ihm Bekannten und von ihm Verstandenen dichtet er diesen Kampf weiter: es ist ein Streit um ein wertvolles Gerät, eine nützliche Waffe, um gestohlene Rinderherden, um geraubte Frauen. So wird das Gewitter mythisch erklärt. In dem Eindrücke, den Sonnenaufgang und Untergang auf den Menschen ausüben, den die Wiederkehr des Tages und der Nacht, der Kampf zwischen Licht und Finsternis, das ganze Sonnendrama mit allen seinen Einzelheiten hervorrufen, das jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr, im Himmel und auf Erden abgespielt wird, liegt der dunkle Same eines Glaubens an ein übermenschliches Wesen. Eine von Geschlecht zu Geschlecht aufsteigende und sich mehrende Naturbetrachtung entdeckt immer mehr Ordnung und Regelmäßigkeit in der Natur und wird sich bewußt, wie sehr der Mensch unter ihrem Einflüsse steht, ohne selbst auch nur im geringsten auf sie einwirken zu können. Die Naturkräfte werden personifiziert, es tritt eine Vermenschlichung der gesamten Natur durch Personifikation ein; der Mensch faßt z. B. die wandelnde Sonne als wandelndes, menschenähnliches Wesen auf. Aber dieses Wesen wandelt da oben, wo hinauf kein Mensch zu steigen vermag, es leuchtet und erwärmt, es strahlt und funkelt; eine andere Naturperson stürmt, blitzt und donnert, kurz, sie besitzt Eigenschaften, die dem Menschen versagt sind; das Firmament, an dem die Wolken dahinschweben, vom Winde getrieben, ist sinnlich wahrnehmbar, es scheint vom hohen Berge aus so nahe zu sein und ist doch unerreichbar: überkräftig, übermenschlich muß also das Wesen sein, das diese Naturbegebenheiten vollbringt. Diese gewaltigen Naturkräfte sind von unermeßlicher Macht, sie trotzen der Begierde des Menschen, sie können schaden und nützen, darum sucht man sie durch Gebet, Hymnen und Anrufungen gnädig zu stimmen. Der Mythus beschreibt, was das höhere Wesen getan hat, der Ritus soll es bewegen, die gleiche Tat für seine Verehrer zu wiederholen. Darum lobt und preist man es nicht nur, sondern.speist, tränkt und erfreut es durch Spiele. Einige Gebräuche suchen den himmlischen Vorgang nachzuahmen, umgekehrt wird der himmlische Vorgang nach irdischem Muster ausgemalt. Der Dichtkunst kommt also ein hoher Anteil an der Ausbildung des Mythus zu, und diese religiös-poetischen oder poetisch-religiösen Anschauungen von der umgebenden Natur und den in ihr wirkenden Kräften riefen die vornehmste Gattung der alten Poesie ins Leben, die hymnischen Lieder, und diese wurden bei den Indogermanen von der versammelten Menge im Chore zum feierlichen Opferreigen gesungen.

Zwischen Seelenglaube und Naturverehrung befindet sich also ein gewaltiger Abstand. Nicht mehr der Mensch ist Gott, sondern die Natur ist das Göttliche. Die Naturerscheinungen sind nicht mehr Äusserungen des Wohlwollens oder des Zornes der Abgeschiedenen, sondern alles Sein ist einer an Gesetze gebundenen Naturnotwendigkeit unterworfen. Der Naturmythus ist an ein Volk mit Ackerbau und Viehzucht geknüpft. Himmel und Erde, Tag und Nacht, Gewitter, Sturm, Wolkenzug und Nebelflor, Luft im Laub und Wind im Rohr, das Zwielicht und das Feuer, des Menschen freundlicher Hausgenosse, werden zu überirdischen Wesen. Wohnungs- und Klimawechsel, besonders der Wandel der geistigen Kultur und Lebensweise, die Entstehung eines Staates, die Bildung fester Stände, sowie die geschichtlichen Schicksale geben dem Mythus ein eigenartiges, von andern Völkern unterscheidendes Gepräge. Alle Völker der Erde haben den Seelenkultus geübt, gerade hier müssen die Überlieferungen aller Indogermanen wie aller Germanen, südlich oder nördlich der Ostsee, am genauesten übereinstimmen. Bei fast allen Völkern sind Ansätze zur Naturvergötterung vorhanden, aber nur bei den Indogermanen ist diese Naturverehrung zur vollen Blüte gekommen. Bei den Griechen und den Germanen, den Trägern des Idealismus, erlangt der Naturmythus seine höchste Weihe und durchdringt veredelnd Poesie und Kunst, häusliches und staatliches Leben.

Naturerscheinungen als leblose Gegenstände aufgefaßt.

Die den Menschen umgebende Natur rief die Vorstellung von Wesen hervor, die mächtiger waren als er selbst, aber sie schwankten noch zwischen übertierischen und übermenschlichen Wesen. Auch mit unbelebten Gegenständen konnte sie verglichen werden, wie die Sonne mit einem Rade, ihre Strahlen mit einem Schwerte, der Blitz mit einer Waffe, einer Keule oder einem Hammer, Wolkengebilde mit einem Baume, einem Berge (vgl. ags. clüd „Berg“, engl, cloud „Wolke“), mit Burgen, Türmen, Wällen und Mauern. Über ganz Deutschland verbreitet ist die Vorstellung von einer im Wasser versunkenen Stadt, Burg oder einem Kloster. Noch jetzt nennt man eiue sich auftürmende Wolkenburg einen weißen Turm oder Grummelturm.^ Wind und Sturm werden in der volkstümlichen Auffassung alter und neuerer Zeiten vielfach als Musik dargestellt.

Die Wolke wird gern als Schuh aufgefaßt, und weil das Gewölk schnell dabinjagt, sind es Zauberschuhe, Siebenmeilenstiefel. Meistens erscheinen sie mit anderen Gegenständen zusammen, sogenannten Wunschdingen. In dem Märchen „Der König vom goldenen Berg“ (K. H. M. Nr. 92) erwirbt der Held von drei Riesen einen Degen, der bei den Worten „Köpf alle runter, nur meiner nicht“ alles köpft, einen unsichtbar machenden Mantel und ein Paar Stiefel; weun man die angezogen hatte und sich wohin wüuschte, so war man im Augenblick da. In dem Märphen „Der Rabe“ (K. H. M. Nr. 93) sind die drei von Riesen gefundenen Wuuschdinge ein Stock, vor dem jede Tür aufspringt, ein unsichtbar machender Mantel und ein Roß, auf dem man überall hinreiten kann, auch auf den gläsernen Berg. Die Hexe, die den entflohenen Kindern nachsetzt, benützt, wie der Menschenfresser im Däumlingsmärchen, Meilenstiefel (K. H. M. Nr. 56). Diese Wunschdinge sind ursprünglich Wolken* und Gewittersymbole. Der Mantel bezeichnet die allverhüllende, die Schuhe die eilig dahinschwebende Wolke. Der unerschöpfliche Beutel und das Tischlein-deck-dich sind das Symbol der Segen und Reichtum spendenden Wolke (K. H. M. Nr. 36). Der Degen, der alles köpft, der Stock, vor dem jede Tür aufspringt, weisen auf den Blitz. Die Wunschdinge erscheinen fast stets zusammen, weil sie zusammen den Gewittervorgang versinnbildlichen.

An die Stelle des unsichtbar machenden Mantels tritt häufig eine Tarn- oder Nebelkappe mit derselben Eigenschaft (ahd. tarni heimlich, mittelniederl. dären sich verbergen).

Das Milrehen „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (K. H. Nr. 71) erzählt von einem Manne, der durch Schief- und Geradesetzen seines Hutes das Wetter lenken kann, ein anderes (Nr. 54) von einem Hut, aus dem unwiderstehliches Geschütz donnert, wenn er gedreht wird. Wodan trägt den Wolkenhut tief in die Stirn gedrückt; den Muet mit dem Breithut nennt ihn der Einderspruch. Vom Kyffhäuser wie vom Pilatus sagt man: „hat er einen Hut, so wird das Wetter gut*. Es wird regnen, sagt man im Harz, denn der Brocken bat eine Nebelkappe. Wie der an Bergen und auf Fluren lagernde Nebel vor dem Winde und den Sonnenstrahlen weichen muß, so kann man den Besitzer einer Tarnkappe ergreifen, wenn man ihm seine Kopfbedeckung entreißt. Einem Bäcker fehlten immer einige seiner Brote, doch gelang es nicht, den Dieb zu entdecken. Da kam er auf den Verdacht, die Zwerge könnten an seinem Unheile schuld sein. Er schlug also mit einem Geflechte von schwanken Reisern so lange um sich her, bis er die Nebelkappen einiger Zwerge traf, die sich nun nicht länger verbergen konnten (D. S. Nr. 153). Auf dieselbe Weise werden Zwergen, die des Nachts die Feldfrüchte raubten, die unsichtbar machenden Nebelkappen abgeschlagen (D. S. Nr. 152, 153, 155). Zwergkönig Laurin zieht ein Tarnkäppiein hervor, bedeckt sich damit und verschwindet vor Dietrichs Augen; so unsichtbar geworden schlägt er dem Berner manche tiefe Wunde, daß ihm das Blut durch die Panzerringe rinnt (495 ff.). Hagen weiß, daß Siegfried an einem Berge dem Alberich die Tarnkappe abgewonnen hat und dadurch Herr des Hortes geworden ist (N. L. 98). Die Nibelungen selbst sind Nebel- und Dunkelgeister, denen die Tarnkappe von vornherein zukommt. Im Seyfriedsliede gelangt der Held durch dichte Finsternis dort-hiu, wo er nachher den Schatz der Söhne Niblings findet. Im Walberan ist Nibelung der Führer einer Schar, die, von keinem Menschen gesehen, Schiffe entführt (139 ff.). Der Nibelung Kugel reitet im Seyfriedsliede auf einem kohlschwarzen Pferde und ist mit einer Nebelkappe ausgestattet wie Alberich; er wirft sie über Siegfried und rettet ihn dadurch vor dem hinterlistigen Riesen Kuperan. Mit Hilfe des Zwergkönigs Albewin, der die Tarnkappe benützt, erschlügt der Held einer Arthusdichtung Garei das Meerwunder, das ein alles tötendes Haupt im Schilde führt (s. u. S. 104). Alberich gelobt Ortnit Treue und Dienstbarkeit, wenn er den Ring von des Helden Hand bekäme. Doch Ortnit verweigert ihn, weil er ihn von seiner Mutter hat. Da begehrt der Kleine nur, ihn näher zu besehen, und als der König ihm arglos die Hand hinreicht, verschwindet der Ring von seinem Finger und der Zwerg vor seinen Augen: denn der Ring gab ihm die Kraft, den Zwerg zu sehen (141 ff.). Auf der Stutzalp zu Graubünden spukt das Nebelmflnnlein. Wenn regenschauernde, frostig graue Wolken niederhangen, gleitet es leisen Trittes auf der Alp einher, mitten am Tage bei der Herde, im späten Abenddunkel und in schneeiger Nacht bei den Hütten, mit breitrandigem Hute, Holzschuhen und nebelweißer Jacke.

Unsichtbar, in der Tarnkappe, dem deckenden Helme, (Heliand 5454) erscheint Satan der Gattin des Pilatus und bestimmt sie durch teuflischen Spuk, sich für Christus zu verwenden. Noch bei Hans Sachs heißt es in dem Schwanke „Der Teufel läßt keinen Landsknecht mehr in die Hölle fahren:

Zuhandt der Teuffel Beltzebock zog an sein unsichtigen Rock.

Germanenherz aus dem Buch: Deutsche mythologie in gemeinverständlicher darstellung (Paul Herrmann 1906)